The Urbex Code
Lesezeit: 10 Minuten - 07. September 2021 - von Marc Mielzarjewicz - Aus dem Schnappschuss
Verlassene Orten sind mythisch und gewähren einen Einblick auf längst vergangene Tage. Rund um diese Stätten hat sich eine „Urbex-Szene“ entwickelt. Der Begriff kommt von „Urban Exploration“, übersetzt: städtische Entdeckung. In der Fotografie werden Motive dieser „Lost Places“ gerne genutzt. Marc Mielzarjewicz erzählt, wie er zu dieser Leidenschaft gekommen ist und was sie ausmacht.
Angefangen hat alles, als ich als Jugendlicher von meinen Eltern eine Spiegelreflexkamera geschenkt bekommen habe. Farbfilme waren zu teuer. Deshalb Schwarz-Weiß. Außerdem konnte ich die Bilder dann in meiner Dunkelkammer selber entwickeln. Ungefähr zu dieser Zeit hatte ich auch die Berührung mit meinen ersten „Lost Places“. Noch zu tiefsten DDR-Zeiten bin ich mit ein paar Freunden in ein leerstehendes Kino in meiner Heimatstadt Halle eingestiegen. Die Größe, der viele Stuck, die Stille, während draußen das Leben pulsiert, und das prickelnde Gefühl, etwas zu tun, was nur wenige machen, waren wohl die Initialzündung für das Urbexen.
Diese Faszination hat sich bis heute erhalten. Da mich in der Fotografie besonders die Architektur interessiert, ist die Dokumentation des Architekturverfalls das perfekte Hobby für mich. Zu sehen, wie sich die Natur Menschgeschaffenes zurückholt, macht den Charme dieses Sujets aus. Dass am Ende sieben Bildbände zum Thema „Lost Places“ entstanden sind, zeigt mir das große Interesse an diesem Thema.
Die „Urbex-Szene“, von der ich am Anfang gar nicht wusste, dass es sie gibt, wächst ständig weiter. All diese Menschen erkunden ihr urbanes Umfeld, viele davon fotodokumentierten es. Dabei gilt das ungeschriebene Gesetz - der „Urbex Code“, beim Betreten der Location nichts zu verändern oder mitzunehmen. Selbstverständlich darf sich auch nicht gewaltsam Zutritt verschafft werden.
"Mit meinen Bildern möchte ich den Betrachter auf eine Zeitreise mitnehmen."
Bevor ich anfange zu fotografieren, lasse ich die Location auf mich wirken. Ich stelle mir vor, wie es gewesen sein muss, als die Firma, das Hotel, das Krankenhaus noch in Betrieb waren. Mit meinen Bildern möchte ich den Betrachter auf eine Zeitreise mitnehmen. Da die Gegenwart so reizüberflutet ist, konzentriere ich mich auf das Wesentliche und mache die Bilder in Schwarz-Weiß. Die Fotos leben von den Kontrasten und spiegeln den Verfall und Wandel auf diese Weise in meinen Augen perfekt wider. Dabei nutze ich, bis auf ganz wenige Ausnahmen, nur das Umgebungslicht. Deshalb ist das Fotografieren mit Stativ zwingend. Die Langzeitbelichtungen entschleunigen zusätzlich, so dass ich mich noch mehr auf die Location einlassen kann. Mit einer Kombination aus Totalen und Detailaufnahmen möchte ich einen Eindruck zu dem verlassenen Ort vermitteln.
Nicht ungefährlich: Wenig Licht, morsche Dielen und schwarze Löcher im Boden zwingen zu stetiger Aufmerksamkeit
Das Fotografieren in Lost Places ist nicht ganz ungefährlich. Wenig Licht, morsche Dielen und schwarze Löcher im Boden zwingen zu stetiger Aufmerksamkeit. Idealerweise sollte man dieses Hobby nicht allein ausführen. Mit einer Begleitperson ist man sicherer, und durch den Austausch kann sich auch der Blickwinkel erweitern.
Am meisten interessieren mich alte Industriekomplexe, verfallene Kraftwerke, marode Kasernen. Die verrottende Technik schwerer Maschinen lässt das Herz des Urbexers höher schlagen. Gepaart mit dem Geruch von altem Maschinenöl in der Luft wird der Lost Place so wieder zum Leben erweckt. Oftmals liegt und steht noch alles so wie zu dem Zeitpunkt, als das Licht zum letzten Mal ausgeschaltet wurde. Für mich ist das sehr faszinierend.
Der "Urbex Code": Beim Betreten der Location nichts verändern oder mitnehmen
Wenn man sich für dieses Hobby interessiert, sollte man mit offenen Augen seine Umgebung wahrnehmen. Die größten Urbex-Schätzchen finden sich auf diese Weise, weil sie noch nicht überrannt und totfotografiert wurden. Oftmals hatte ich so das Glück, auch gleich den Eigentümer kennenzulernen, etwas über die Geschichte des Lost Place zu erfahren und sehr einfach die Genehmigung zum Fotografieren zu erhalten. Jeder Urbexer sollte sich darüber im Klaren sein, dass er sich ohne Genehmigung bestenfalls in einer rechtlichen Grauzone befindet.
Natürlich gibt es diverse Facebook-Gruppen und andere Netzwerke für den Austausch von Informationen. Über Google Maps kann man sich einen guten ersten Eindruck von dem „Verlorenen Ort“ verschaffen und auch Touren planen. Persönlich fand ich es schön, 2019 bei der URB-EX Fotoausstellung in Luxemburg gleichgesinnte Fotografen aus Frankreich und Belgien kennenzulernen. So habe ich im netten Gespräch Standorte von Lost Places für den nächsten Urlaub im Ausland erfahren.
Besonders die verrottende Technik verlassener Gebäude lässt die Herzen der Urbexer höher schlagen
Neueinsteigern in dieses Hobby empfehle ich am Anfang eine organisierte Fototour. Auf diese Weise kann man zum Beispiel wohl Deutschlands bekanntesten Lost Place - die Beelitzer Heilstätten - erkunden und die Luft längst vergangener Sanatoriumstage schnuppern. Übrigens gibt es zu den Beelitzer Heilstätten einen Bildband von mir, verlegt vom Mitteldeutschen Verlag. Da eine der wenigen Konstanten im Universum der Verfall ist, kann man dieses Hobby lang und intensiv betreiben. Immer wieder neue Lost Places aus anderen Blickwinkeln zu entdecken, macht Urban Exploration spannend und lässt nie Langeweile aufkommen. Wer mehr über meine Arbeiten erfahren möchte, kann sich gern über meine Kanäle informieren.
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